Was dem Projekt voraus ging

Gianni meint, ich sollte meine Art und Weise, Regie zu führen, mal nachvollziehbar machen in einem Blog. Ich werde es versuchen. Es wird eine  Erzählung mit Fortsetzungen. Als Regisseur erlebe ich mich eher weniger, mehr als Psychodramatiker in Richtung Schauspiel.
Ich beziehe mich auf die Notizen die ich bereits vor und während der Proben aufgeschrieben habe. Und selbstverständlich auf meine Erinnerungen. Manche Situationen werde ich darum im chronologischen Sinn nicht exakt wiedergeben können. Relevant bleibt das Thema Wandlung und mit ihm die Frage, ob dieses große übergeordnete Ereignis während der Proben auch in unserem Ensemble wirksam werden kann, und wie seine künstlerische Umsetzung wohl aussehen mag?
Wandlung?
Das Thema ist grenzenlos, ewig, uranfänglich. Es erfassen und stilvoll verkörpern zu wollen, darin steckt wieder viel Anspruch. Die ersten Versuche auf einem eher ziellosen Weg  jedoch könnten den springenden Punkt aktivieren.
Vielleicht.

 

Jeder Wandlung geht die Krise voraus

Krise und Wandlung sind Geschwister. Ich erlebe sie jetzt, die Krise. Corona überschwemmt unser Kammertheater mehrmals wie ein Tsunami, mit elementarer Wucht. Wie kann ich diesen Einbruch beantworten?
In einem Traum erlebe ich, dass Stühle und Textbücher aus unserem Theaterraum hinausgeschwemmt werden, Scheinwerfer zerbrechen. Zuschauer fliehen in alle Richtungen. Zurück bleiben auf dem Campus leere Räume. Diese Leere hat eine stärkere Wirkung als das Unheil. Sie tröstet im Traum und gibt Hoffnung, noch in den folgenden Tagen. Tatsächlich.
Ich weiß mit Leere umzugehen.

Aus der Leere kommt das Wesentliche und Eigene

Jetzt erfahre ich die Leere als Wegweiser. Sie weist auf ein neues Projekt, obwohl zunächst keines vorgesehen ist. Vielleicht könnte es die Krise, von der wir im Theaterlabor getroffen sind, umwandeln. Bei einer der täglichen Besprechungen im Innenkreis unseres Theaterlabors mit Antje und Gianni ergibt sich, dass auch sie eingeholt sind von dem Thema „neues Projekt“.  Außerdem kommt heraus, dass wir starke Veränderungen in uns wahrnehmen durch die Folgen der Pandemie. Änderungen, die wir als persönliche Wandlung erleben. Wir wundern uns nicht darüber, wir freuen uns über dieses gemeinsamen Erleben und mittragen. Wie soll das evtl. vor uns liegende Projekt aber benannt werden?
Nomen ist Omen.

Krise. Leere. Zauberwort. Wandlung

Die Nacharbeit meines  Traumes durch aktives Imaginieren ist ergiebig. Bei der obligatorischen Verkörperung fällt auch das Wort ein.
WIE?
So wie Eichendorff es beschrieben hat:

 Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.

Es heißt Wandlung! In manchen Einzelstunden und psychodynamisch-künstlerischen Gruppen  habe ich eindrückliche Wandlungen erlebt, wenn mit einem Mal das Zauberwort durchbrechen konnte. Selbst bei Menschen mit übersteigertem Ichzentrierten und vom Unbewussten abgekapselten Bewusstsein. Plötzlich von innen her ergriffen, in einem plötzlichen Ausbruch des Unbewussten ins Bewusstsein springt die zu eng gewordene  Bewusstseins-Kapsel auf und öffnet sich zu neuem, schöpferischen Leben. Der Schleier der Maja reisst dann auf mit der Chance WER wirklich WER ist, von der Tiefe her zu erkennen. Manche Menschen nennen ein solches Geschehen schon Sartori. Diese Vorgänge können bewusst initiert werden. Ich möchte für sie künstlerischen Ausdruck finden. Aber noch ist alles Tagtraum, Assoziation, aktives Imaginieren, im Hinblick auf vor uns liegende Proben…

Tagträume. Ahnungen. Einfälle

Das wissen wir jetzt!
Unsere Bühne soll wieder belebt werden trotz Pandemie!
Alle nötigen Hygienegeräte und genug Fenster die sich öffnen lassen, sind vorhanden. Gründliches Lüften ist kein Problem. Alle Szenen müssten mit reichlich Distanz angelegt werden. Aber das ist eh nichts Neues, ist sogar ein Merkmal unserer Bühnenkunst.
Die Proben sollten den Charakter des WEGES bekommen als Selbst-Erfahrung durch künstlerisches Ausdruckstraining. Eine Reise könnten sie sein, wichtiger  als Anzukommen. Am Schluss unseres Stückes sollte es auch kein Ankommen geben. Es geht ja weiter. Immer weiter. Irgendwie.
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Erklärungen für die Zuschauer soll es nicht geben. Die Szenen werden hoffentlich durchweht sein von irrationalem Sinn, vom Schöpfergeist, wenn alles stimmig verläuft. Der immer alles gleich wissen-wollendende Ratio soll die Nahrung entzogen werden. Die Ratio ist wenig hilfreich bei seelisch-physischen  Wandlungsprozessen.  Denn sie greift vor und ein, und was reifen und werden möchte verhindert sie so.
Vielleicht werden die Zuschauer durch solche Kopf-Diät mit anderen Augen hinschauen, mit anderen Ohren hinhören. An die Stelle des Denkens und Überlegens könnte durch abstrakt-surrealistisches Bühnengeschehen, im Gemüt, der alles erfassende Widerhall erzeugt werden. Das wäre wunderbar.

Verstehen durch Einfühlung ist angestrebt

Es sollten keine Handlungen im konventionellen, naturalistischen Sinn gezeigt werden, sondern seelische Zustände. Verkörpert durch Nicht-Handlungen oder Anders-Handlungen, ritualisiert, kultisch…
Es könnte ja sein, das wir als Ensemble synchron mit den Zuschauern dieses Geschehen Krise und Wandlung erleben. Durch ein hochabstraktes Bühnenspiel, durch das der Schöpfergeist hindurchweht und auf uns alle der Geheime Regisseur mit eingestimmt ist.

Zen grüßt zustimmend

Zen grüßte mich  in meinem Traum,  an die seelisch aufbauende Wirkung der großen Leere erinnernd. Immerhin, in Zen zu SEIN erlebe ich als meinen pädagogisch-künstlerischen Auftrag. Für die Bühne und für den Alltag als Übung.
Das bedeutet Präsenz herstellen, als innere Handlung und äußere Haltung. Die gestaltende Weisheit im LeibKörper wird so zur Erfahrung. Zen könnte auf unserer Bühne wieder zur Basis werden. Als spielerischer, individueller Zen, als   persönlicher Zen. Aus ihm, das erlebte ich früher oft, kann bei ausreichendem Training dann dieser besondere, kontemplative Spielstil hervorgehen. Mit ihm erscheint dieser typische Traumgesicht-Ausdruck mit seiner so anderen Atmosphäre.  Magisch kann sie sein, mythisch, mystisch, manchmal mit trancehaften Charakter. Wird den inneren und äußeren Spielregeln gefolgt bleiben die Spieler und Zuschauer intensiv wach und klar. Das könnte, sollte wieder geschehen.

Die Proben haben noch nicht begonnen.
Doch freue ich mich schon mit zu erleben, wie durch ritualisierte Ausdruckübungen und durch zigfaches Wiederholen der universalen Hand- und LeibGebärden, der Laute, Wörter und Sätzen die Figuren sich stets erneuern. Jedes Erleben und jeder Ausdruck kann so von den Spielern in jedem Moment frisch erlebt werden.
Szenen könnten entstehen, die getragen sind von Ritual und Leidenschaft. Vereint lassen sie das Leben und das Spiel, das Spielleben gelingen. Wirklich.
Warten wir also ab was in den Proben WERDEN will.
Werden die Spieler bereit sein, Verfremdung und verzögerte Spontaneität anzunehmen und bereit, das private Ausdrucksvokabular vollständig aufzugeben? Sind sie bereit die Grenzen darstellender Konventionen zu tranzendieren, um das Spektrum der inneren Erfahrungen zu erkunden, und mit vorgegebenen Ausdrucksformen zu verkörpern? Ach, viele Fragen, Unsicherheiten, immer wenn Proben zu einem neuen Stück bevorstehen. Mit den beiden Spielern Martin und Nikolai, das alles zu erproben und manches zu verwerfen wenn es sein muss, wird ein Abenteuer.
So, für heute habe ich erst einmal genug erzählt. Fortsetzung folgt bald.
Bleib gut beschützt und tu was kreatives.
Mit Gruß Wolfgang.

Hinweis:

Das Video Wandlung21 ist in der Mediathek des TheaterLabors abrufbar. Link zur Mediathek

Wenn Du Slow Acting im Schauspieltraining lernen möchtest, mit diesem Link erfährst du mehr darüber.