Wie es wurde, was es ist

Unsere Slow Acting-Bühne liebe ich, mit ihren unkonventionellen Spielregeln und Ausdrucksmitteln. Die Probenprozesse mit schöpferischen, einfühlsamen Spielenden. Auch die Zuschauer selbstverständlich, die sich berühren lassen von dem, was wir zeigen. Ich liebe auch die anderen Bereiche, Medien und Geschehnisse meines Berufes. Zum Beispiel das Geführte Zeichnen, die Atem,- Stimm- und Sprachgestaltung, das aktive Imaginieren, die aktiven und passiven Meditationsformen, die Initiatische Leib-Wahrnehmung …
Die Initiatische Leib-Wahrnehmung ist heute der Mittelpunkt dieses Blogbeitrages.

Sie hat sich aus sich selbst heraus entwickelt, während meiner Aufgaben als Initiatischer Wegbegleiter. Und lange schon ist sie ein tragender Pfeiler meiner beruflichen Tätigkeit.

Wie es dazu kam?

Ende der sechziger Jahre hörte mein Weg als Schauspieler plötzlich auf. Anschliessend ging ich einen langen Gang durch eine heftige Krise. Ein Prozess der Wandlung ermöglichte den Neuanfang auf meinem Weg. Er wurde initiiert durch das Studium der holistischen LeibKörper-Lehre, bei Graf Dürckheim und seiner kongenialen Partnerin M. Hippius. Sie vermittelten mir segensreiche Medien in und aus der initiatischen Tradition. Das geschah in der von ihnen begründeten Existential-Psychologischen Bildungs- und Begegnungsstätte RÜTTE. Das ist ein Weiler im südlichen Hochschwarzwald. Er wurde das Zentrum für die Initiatische und transpersonale Psychologie und Therapie, die ich dort physisch und psychisch studierte. Im Laufe der Jahre wurde RÜTTE von vielen suchenden Menschen aus der ganzen Welt besucht. Nach Praktikum, Supervision und Überreichung eines Zertifikates wurde ich bald Mitarbeiter. Auch in Montmery / Limousen, bei Exist-Rütte München, auf dem Johanneshof Herrischried. Ich bin es bis heute.

Zen-Geist. LeibKörper

Die Initiatische Leibarbeit erweiterte und vertiefte ich durch mein autodidaktisches Studium tiefenpsychologisch orientierter Selbstfindung durch den Leib, nach M. Fuchs und V. v. Weizsäcker. Hinzu kamen verschiedene aktive und passive Meditationsformen, z. B. aus der Antroprosophie und dem Zen, aktives Imaginieren aus dem Schauspielstudium. In RÜTTE beschäftigte ich mich später ausführlich mit der von C. G. Jung entdeckten und empfohlenen Möglichkeit: Aktive Imagination, wobei ich bedeutende Übereinstimmungen erkannte. Ihre Verflochtenheit brachte schließlich auch das Phänomen Leib-Wahrnehmung hervor.

Eine ähnliche, möglicherweise noch differenziertere, Wahrnehmungstiefe fand ich bei der Vorgehensweise Focusing des amerikanischen Psychotherapeuten Eugene T. Gendlin.

Der Leib, der Du bist, der Körper, den Du hast

In der initiatischen Leibarbeit und der Leib-Wahrnehmung wird das Verflochten-Sein materieller Wirklichkeit mit transmaterieller Wirklichkeit im Leib-Körper, zur konkreten Erfahrung.
Sie hält erstaunlich umfassende Einsichten bereit, im Hinblick auf Dein vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Leben.

Der LeibKörper ist das Gefäß Deines leiblichen Selbst

Die wahren und wesentlichen Bestimmungen Deines individuellen Lebens können nur durch den LeibKörper erfüllt werden. Niemals gegen ihn. Dabei ist der im Bauch-Beckenraum verankerte Atemrythmus von Bedeutung. Er bildet die neue Gestalt, seelischgeistig und leibkörperlich. Die Ratio und mit ihr das Ich und seine einseitige Fixierung auf die Außenwelt verschließen sich seelischgeistiger Entwicklung im und mit dem LeibKörper. Durch kontemplative Übungen kann sich jedoch allmählich die selbstverständliche Rückbindung an Dein inneres Wesen ergeben. Dann wird das Ich erkennen, dass es nun nicht mehr Dein Mittelpunkt ist.

Es kann nämlich nicht anders als entdecken, dass nun der Zustrom an unbewussten Inhalten deine Persönlichkeit belebt, bereichert und in dir eine Gestalt aufbaut, welche an Umfang und Intensität das Ich überragt. Diese Erfahrung lähmt den allzu egozentrischen Willen und überzeugt dein Ich, dass sein Zurücktreten trotz aller Schwierigkeiten besser ist als ein aussichtsloser Kampf, wobei das Ich den Kürzeren ziehen würde. Auf diese Weise unterstellt sich der Wille als mitwirkende Energie allmählich der neuen Gestalt die u. a. als Wesenskern oder Selbst bezeichnet wird. C.G. Jung

Dieses Geschehen kann in jeder kontemplativen Übung die in voller Präsenz ausgeführt wird, auf der Bühne und in Deinem Alltag erfahren werden.

Wahrheit des Augenblicks

Während der initiatischen Leib-Wahrnehmung erlebst Du Deine physische, seelische und geistige Realität zugleich. Und Deinen LeibKörper erlebst Du als  ein totales Sinnesorgan. Er ist informierter Leib (Petzold) und Gedächtnisleib. Darum enthält er jegliches Wissen um Dich-Selbst, erfasst Dein vergangenes, jetziges und zukünftiges Leben. Zur Gestaltung und emotionalen Erfüllung einer Bühnenfigur z. B. aktivieren wir  den Gedächtnisleib mit der Methode: emotionales Gedächtnis. Du lernst seine Handhabung auch zur authentischen Erfüllung Deiner sozialen Lebensrollen im Alltag. Sie kann zu Deiner initiatisch-künstlerischen Lebenshilfe werden.
Alle Lebenserfahrungen Deines transpersonalen und personalen Lebens im Leib, der Du bist, scheinen tatsächlich in ihm aufgezeichnet zu sein. Das erlebe ich fast täglich, immer staundend. Und das was in der Wahrheit des Augenblicks jetzt notwendig ist für Deine Individuation, darauf macht er Dich aufmerksam. Wenn Du bereit und offen bist.

Ein Fahradfahrer fährt angestrengt bergauf.Michael und sein rechtes Knie

Der folgende Dialog aus einem EinzelCoaching könnte ein Beispiel für das eben Beschriebene sein. Ich habe ihn während des EinzelCoaching mitgeschrieben, später Michael zum Lesen vorgelegt und gefragt, ob ich ihn veröffentlichen darf. Nach kleinen Veränderungen gibt er sein Ja für mein Anliegen. Michael ist Angestellter in einer mittelgroßen metallverarbeitenden Firma. Er ist wortkarg, wirkt phantasielos, frustriert, einseitig rational ausgerichtet. Er kommt ins EinzelCoaching, um durch schauspielerische Übungen kreativ zu werden. Nur vorsichtig, fast misstrauisch lässt er sich auf kleine Ausdrucksübungen ein. Die Worte Spüren, Wahrnehmen und Fühlen aktivieren in ihm aggressive Reaktionen.  Er wünscht eine Maske zu formen.

Michael: Hinter einer Maske kann ich mich sicher mehr gehenlassen.
Im taktilen Begreifen und Formen der Ton-Erde kommt Michael langsam ins Erleben. Und als er das Ton-Gesicht vor sich liegen sieht, mit nun offenen Augen, ist er sichtlich gerührt.
Ins nächste Coaching kommt Michael mit starken Schmerzen im rechten Knie.

Leib-Wahrnehmung

Für dieses Coaching haben wir vereinbart, dass Michael seine Maske mit Farben durchgestaltet. Doch zu schmerzhaft macht sein Knie  auf sich aufmerksam.
Michael: Joggen ist nicht mehr drin. Seit einigen Tagen humple ich durch die Gegend.
Das gefällt ihm als Sportler überhaupt nicht.

M: Ich würde heute gerne liegen. Beim Sitzen sind die Schmerzen zu stark. Vielleicht können wir wieder mal eine Entspannungsübung machen.
Das tun wir. Ich empfehle anschließend die Leib-Wahrnehmung. Er ist einverstanden.

M: Vielleicht kommt das vom Fahrradfahren. Vor einigen Tagen hat es mich verdammt angestrengt. Ich wollte stärker sein als der Gegenwind. Außerdem ging es stark bergauf. Nachgeben wollte ich nicht. Nun habe ich die Quittung.

M: Ich weiß zwar nicht, was das ist, aber wenn es hilft, warum nicht.
Michael legt sich auf die Übungsmatte. Nach einer Entspannungsübung geht es weiter, die Schmerzen werden aber wieder stärker. Auf was wollen sie aufmerksam machen?
Wolfgang: Lebe Dich ein in die Schmerzen in Deinem Knie. Gehe ganz nah an sie heran, beschreibe mir, wie Du sie wahrnimmst. Michael freut diese Empfehlung nicht. Er findet sie albern und kindisch. Ich reagiere nicht darauf. Nun entsteht Stille, lange Zeit. Auf einmal gibt Michael erstaunlich differenziert wieder, wie sich die Schmerzen in seinem Knie anfühlen, und was sie dort tun.

M: Sie klopfen ganz stark, boxen gegen die Kniescheibe und bohren mit einem Messer.
Nach einer Weile des Hinspürens und mit Bewusstwerdung, was in dem Knie geschieht, beruhigen sie sich etwas. Das erstaunt ihn. Ich empfehle ihm nun, den Atem in sein Knie zu lenken.
Michael führt seinen Atem dahin, ohne Wenn und Aber. Erstaunlich. Ein gutes Zeichen für das Gelingen der Leib-Wahrnehmung.

M: Das geht gut.
W: Wie fühlt sich das an, wenn Dein Atem dem Schmerz und dem Knie begegnet?
Michael antwortet mit einer Gegenfrage. Ich gehe darauf ein.

M: Ob die Schmerzen wirklich vom Radfahren kommen?
W: Gib Deine Frage in Dein Knie und horche hin.
In schweigendem Spürhorchen lässt er seine Frage dort wirken.

M: Das Knie meint wohl, das ich aufhören soll, mich abzustrampeln. Es fragt noch wozu eigentlich. Das Knie erkennt scheinbar keinen Grund.
W: Was glaubst Du, will Dir Dein Knie genau sagen?

M: Viel. Ich verfolge eine berufliche Veränderung. Es ist eng geworden um mich. Es geht aber nicht anders. Tatsächlich strample ich mich ab, jeden Tag bis in die Nächte. Soll ich etwa damit aufhören, ich habe ein festes Ziel, auf welchen Sessel ich will.
W: Bitte gib auch diese Frage in dein rechtes Knie und warte ab, wie es darauf reagiert.
Es dauert eine Weile. Dann sagt er überrascht: Mein Knie gibt Antwort.
Knie: Gib Dir freien Lauf. Hör auf mit dem Stress. Du bist eng und hart und starr geworden.
W. Was antwortest Du dem Knie?

M. Tust Du darum so weh? Willst Du mich bestrafen?
Knie: Ja.

M: Das habe ich mir schon gedacht.
Er atmet schneller, eine Ahnung scheint sich in ihm zu ergeben.

M: Ich sehe einen Zusammenhang.
W: Kannst Du diesen Zusammenhang sinnlich spüren?

M: Ich werde davon durchströmt. Das ist fremd. Unheimlich. Was passiert da? Warm wird mir. Das Wort Zusammenhang fühlt sich fließend an. Komisch, wie sowas geht. Ich fühle mich gut, beweglich. Das Fließen ist jetzt auch im rechten Knie angekommen. Ich glaube, es nimmt die Schmerzen mit.
Unsere Zeit ist nun fast um. Ich empfehle Michael, sich noch eine Weile diesem guten, wohl heilsamen LeibKörper-Erleben hinzugeben und dann langsam aufzustehen. Wir kommen noch in ein kurzes Gespräch. Michael macht einen entspannten Eindruck. Sein sonst so angestrengtes Gesicht ist weicher und durchlässiger geworden.

M: Ich wusste bisher nicht, dass es sowas gibt. Aber es hat mich überzeugt. Ich bin entspannt.
Michael sieht die Maske an, die vor ihm auf dem Tisch liegt. Er lächelt.
W: Magst Du erzählen was Dich zum Lächeln bringt?

M: Was passiert hier eigentlich? Auf einmal sehe ich in der Maske ein schönes, entspanntes, lächelndes Gesicht. Da ist auch so ein Zusammenhang. Als ob die Maske das alles mitbekommen hat, was da eben mit mir, in meinem Knie passiert ist. Solche Zusammenhänge habe ich noch nie erlebt. Unheimlich ist das schon. Aber es passt alles irgendwie zusammen.
Am nächsten Tag ruft Michael an. Die Schmerzen sind fast weg. Im nächsten Coaching möchte er wieder auf der Übungsmatte liegen.

M: Der Schmerz in meinem Knie ist fast weg. Er zieht sich zu einem Punkt zusammen. Wie ein Brennpunkt. Dieses Gefühl ist wieder da, das Fließen. Ich habe was kapiert. Ich muss aufhören mich abzustrampeln. Ob ich das schaffe, für eine längere Zeit Vertrauen dafür auf zu bringen?
W: Frage Dein rechtes Knie.
Nach einer Weile:

M: Ja. Ich spüre es im ganzen Körper, das Vertrauen. Das hält.
In den nächsten Coachings finden wir zu einer Methode, welche drei Medien des Slow Acting miteinander verbinden. Das sind:

Leib-Wahrnehmung. Maskenbau und –Schauspiel.

Tatsächlich ergeben sich für Michael aus dem Zusammenspiel dieser Medien, in einem Zeitraum von drei Monaten, Erkenntnisse, die ihn beruflich und privat auf einen stimmigeren WEG führen. Auch in diesem Geschehen zeigt sich wieder die schöpferische Tätigkeit des großen Geheimnisses. Aus einer Krise wird Wandlung und Neuanfang.

Ich habe vor, in folgenden Blogs mit weiteren Beispielen darauf aufmerksam zu machen.

Wenn Du Dich auch auf einen solchen Weg begeben möchtest: Mit diesem Link findest Du weitere Infos