Zweiter Teil

Zuerst ein Rückblick

Mein Suchen, um dem Milieu meiner Kindheit zu entkommen, zeigt sich schon früh in dem Bedürfnis nach Stille, Langsamkeit und verweilendem Innehalten. Meine Lebensbewegung, von klein auf, fordert Langsamkeit und Konzentration auf jene unsichtbare Welt hin die sich nur den Sinnen und Übersinnen öffnet. Sie fordert nicht rationales, kultisch-spielerisches Tun, sie gibt auch die dazu erforderlichen Inspirationen. Lange vor der Einschulung werde ich von einer inneren Instanz
zu Übungen und Verhaltensweisen hin geführt deren Sinn ich nicht verstehe. Ich folge ihnen.

Mein Spielen erwächst daraus.

Mein Spielen. Ein Tun, das mich  entrückt. Damals. Darin finde ich die Stimmung nach der ich immer Sehnsucht habe.  Sie trägt mich aus dem Alltag heraus, aus der  Welt die für Menschen um mich herum schon die eigentliche Welt ist. Mein Spielen. Es geschieht mir in anderen Welten, anderen Zeiten und Sphären. Darin komme ich ins Spiel mit unsichtbaren Kräften. Mein Spielen. Ich finde in ihm wesentliches. Es nährt mich. In ihm bin ich zu Hause. Aufgehoben. Geschützt.

Mit dieser zweiten Erzählung, Slow Acting wie es wurde was es ist, gehe ich zurück in eine Zeit wo ich, zum zweiten Mal Einweihung durch äußere Lehrer und Meister erlebe. Ein starkes Turnaround ergibt sich. Und langsam wird es mir möglich inneres Schauen und Auftragserleben, zu einem anderen Schauspiel-Leben hin, konkret zu leben.

Als mich die innere Anweisung erreicht Düsseldorf zu verlassen, folge ich ihr.

Denn während der verschiedenen Engagements erfahre ich, dass diese eine bestimmte Stimmung für mich, im konventionellen Theater, nicht mehr zu finden ist. Das war einmal anders. Jetzt erlebe ich Leere. Sie führt mich zu Graf Dürckheim. Er lehrt mich erste Schritte zu gehen auf dem Weg zum Zen.

Sein zielloser Weg gibt Raum
Seine Strenge Freiheit
Initiation

Überholte Leitsätze, Verhaltensweisen, Zielsetzungen welken, fallen ab, wandeln sich zu neuem Leben. Zen-Konzentration, auf das EINE hin gerichtet, bringt mich der verlorenen Sphäre meiner Kindheit, in meinem Spielen, wieder nah.

Rütte

Grünes Tal, ein Schwarzwaldhaus steht hinter einem blühenden ObstbaumJa, ich will zu dieser auf Transzendenz bezogenen Gemeinschaft. Ich will zur Existential-Psychologischen Bildungs-und Begegnungsstätte  im südlichen Hochschwarzwald bei Todtmoos.
Der Weiler Rütte. Damals schwer zu erreichen. Dieser Ort erschaffen, von Graf Dürckheim und Maria Hippius, für Menschen die sich zu einer konsequenten inneren Ortsbestimmung aufgerufen fühlen. Beide lehren auf ihre eigene spezielle Art und Weise, das Leben so stimmig wie möglich zu meistern. Es zu meistern in dieser wie in jener Welt. Wir sind Bürger zweier Welten (Graf Dürckheim). Ja, das weiß ich, denn das habe ich erfahren in meinem Spielen. 

Ich bin angekommen in Rütte. Zunächst. Hier erlebe ich sie wieder sinnlich, mit Leib und Seele, diese innere Haltung und Stimmung die so speziell ist, das durch sie sich alles ins Sinnvolle wandelt kann. Auf die Wandlung kommt es an. Zen legitimiert mein oft gescholtenes Langsam-Sein. Es ist kein Mangel. Meine oft gescholtene Sehnsucht nach Stille, Zen legitimiert auch sie. Die innere Leere hat mich in diesen Ort und zu seinen Menschen geführt. Selbstverständlich erfülle ich zunächst die hier erwarteten täglichen Exerzitien. Diese Haltung ist mir vertraut von kleinauf.

Weisser Stuhl auf der schwarzen BühneSchauspiel aus der Stille

Maria Hippius und Graf Dürckheim möchten schon bald, dass ich mit Übungen, aus dem Fachbereich Bühne, meine Mitarbeiterschaft bekannt gebe.
Und ich möchte das auch!

In einem Gespräch zu dritt filtern wir, dass meine Vision vom ganz anderen Schauspiel gut in die Rütte Arbeit passt. Dieses Medium und meine Person könnten initiatisch wirksam sein. Ich bin glücklich.

Erste Schritte auf dem initiatisch-künstlerischen Weg. Lerne durch lehren

Ob das gelingt, das Figuren sich aus der Innenwelt eines Spielers, durch eine ganz bestimmte innere Verfassung, lösen? Vorher unanschaulich werden sie durch geübte und nun frei zugelassene Bewegungsabläufe anschaulich. Sie kommen ans Licht. Sie sollen sich vom Selbst her manifestieren. Innere Anteile, Teile des Selbst , Archetypen? Der Spieler darf sie nicht willentlich hervorbringen. Ein inneres Gestaltprinzip findet bei ausreichend kontemplativer Konzentration,  durch volle Anwesenheit des Spielers, in die Kraft und schafft Verkörperung. Es geht nicht darum literarische Figuren oder Wesen der äußeren Welt zu verkörpern.
Macht bloß kein Theater !
Es geht um die Physikalisierung innerer, seelischer Kräfte.

Der Spieler trägt gelde Glitzerhandschuhe auf der schwarzen Bühne

Aus eigener Erfahrung weiß ich, das die erforderliche Verfassung nur gelingt durch treues Üben meditativer Handlungen. Das Kopfhirn entwichtigt sich und kann sich nun hinunter lassen zum Bauchhirn. Ergänzen sie sich im schöpferischen Dialog ergibt sich ein hohes Maß an bewusstem Sein –  statt Schein. Der Spieler ist dann in einem anderen Da-Sein. Da will es hin.

Da will Es hin.

Werde ich ich diese Erfahrungen vermitteln können? Eine hohe Stufe an Durchlässigkeit durch Meditation, Langsamkeit, Stille,  durch ritualisierten Ausdruck soll erreicht werden. In jedem Detail eines Bewegungsablaufes, in jedem Laut. Der LeibKörper sollte durchlässig werden auch für allerkleinste, subtile Impulse. Sie kommen manchmal aus Grenzbereichen, wo die Träume sich weben. Gelingt das seelischgeistige und leibkörperliche Zusammenspiel kann sich für den Spieler die große Chance ergeben gespielt zu werden. Ohne sein bewusstes Machen und Wollen.
Einem befreundeten Schauspieler wurde gesagt, das er an diesem Abend besonders gut gespielt hat. Seine Antwort: Merkwürdig, ich habe  heute überhaupt nichts gemacht.

Ausdruck in Trance?
Ja.
Aber in hellwacher Präsenz.

Hier in Rütte erlebe ich Menschen, Spieler wie ich, mit denen ich den Übungsweg in die andere Sphäre des Spielens, erproben möchte.

Verkörperter Ausdruck in Traumzeit.
Kultisch. Initiatisch. Numinos.
Die Person des Spielers entwichtigt sich.
Er wird zur transpersonalen Figur.

Heiliges Schauspiel?

Bisher habe ich in diese Richtung alleine geforscht. Jetzt spüre ich lustvoll den Auftrag mit Anderen diesen Weg zu gehen. Wer wird sich wohl diesem hohen Anspruch stellen? Das möchte ich herausfinden. Ich lade Spieler ein mit zu gehen, auf die Suche nach dem Ausdruck der aus innerer Stille kommt. Aus der Wahrheit des Augenblicks (Augustinus).

Ein Blick in die starken Bühnenscheinwerfer

Was für eine Überraschung! Es melden sich zuviel an für meine erste Gruppenbildung. Sie hat zum Ziel eine Performance zu zeigen. Im Berghaus am Prestenberg. Nicht alle sind bereit für eine Aufführung vor Zuschauern. Sie dürfen bleiben. Ich weiß, dass diese Übungen, auch außerhalb der Bühne, Lebensqualität geben. Alle Slow Acting Übungen bereiten grundsätzlich darauf vor, das Leben spielend zu leben. Spiele dein Leben – lebe dein Spiel.

Es ist wunderbar gemeinsam am Zeitgewinn zu üben, sich gemeinsam der inneren Zeit zu öffnen. Wir üben das leibkörperliche geschehen lassen, stimmen uns ein in die Vorstellung vor Zuschauern. Wie lassen sich ihre Blicke, die voller Erwartung sind, aushalten? Auf keinen Fall darf von sich Selbst abgesehen werden. Der Punkt der Konzentration ist unablässig zum inneren Raum der Stille hin gerichtet. Welche Impulse kommen von dort, welche werden wahrgenommen und schließlich zugelassen? Wie möchten sich zugelassene Impulse verändern, in eine Haltung, eine Gehweise, in Mimik? Wir üben die geschehende Verkörperung, die ganz ohne Denken ist. Der Spieler als Person wendet sich an seinen LeibKörper:

Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner.

Seinen Willen  wahr nehmen, ihn in voller Präsenz geschehen lassen, erfordert viel innere Zeit. Sie hat manchmal den kostbaren Geschmack von Ewigkeit. Vertraue deiner Präsenz. Sie ist immer von großer Schönheit. Sie wandelt dich als Person in eine transpersonale Gestalt die ohne Privatheit und Nachlässigkeit ist. Ohne jeglichen Wirkens und gefallen Wollens.

Der Zuschauer ist Zeuge dieser Wandlung. 

Die Gestaltungen des Spielers kommen aus der Grenze zwischen Bewegung und Nichtbewegung, aus Bereichen die unter seinem Bewusstsein liegen. Der Zuschauer ist mitbeteiligt, er wandelt sich mit, möglicherweise.

Der Spieler spielt aus der Erfahrung, dass es nicht entscheidend ist was auf der Bühne herauskommt, sondern auch was für ihn an Erfahrung und Erkenntnis hereinkommt  (Graf Dürckheim).

Die Spielerin sitzt mit gefalteten Händen auf einem Stuhl im schwarzen Bühnenraum

Es sollte nicht bewerten werden warum sich diese oder jene Veränderungen im LeibKörper, in der Mimik, in einer Gebärde, sich in diesem Moment ergeben. Ausdruckshemmend ist das Nachdenken wie denn der Ausdruck bei den Zuschauern ankommen mag. Doch sollte er hellwach bleiben bei der Wahrnehmung was ihm, in diesem Augenblick, ohne sein Wollen, geschieht. So bleibt er offen für die Transparenz für Transzendenz (Graf Dürckheim), auf der Bühne.

Die gemeinsame Performance

Viele, zu viele, sind in die Eingangshalle gekommen. Maria Hippius hat uns eingeladen, in ihr Berghaus am Prestenberg. Dicht an dicht sitzen und stehen die Zuschauer.

Zwei weisse Stühle auf der schwarzen Probebühne.

Der kleine Spiel-Raum, ein wenig erhellt vom Scheinwerfer, wartet auf die Spieler.
Endlos scheint die Zeit bis sie, nach und nach, einzeln im Spiel-Raum erscheinen. Zwar lebt  Schauspiel durch Begegnung mit einer Gegenfigur. Doch für dieses Mal ist der Spieler alleine auf der Bühne um seinem inneren DU zu begegnen, um mit ihm in dem Dialog zu Sein aus dem  Gestaltung geschieht.

Es gibt für das Erscheinen der Spieler auf der Bühne keine festgelegte Reihenfolge. Darauf haben wir uns geeinigt. Wer sich in seiner Mitte fühlt geht in den Spielraum, stellt sich der Wahrheit des Augenblicks und den erwartungsvollen Zuschauern.

Kein Spieler weiß im Voraus was er an Ausdruck, Bewegung, Handlung, an Gebärde,zulassen wird. Er darf es nicht wissen. Würde er vorher ausgedachtes zeigen würde der Ur-Sprung verraten. Die Wahrheit des Augenblicks wäre verspielt. Die Zuschauer erleben ob der Spieler ins Privatpersönliche ausweicht und zu Machen beginnt. Das wäre Rückschritt. Bleibt er seinem transpersonalen DU treu, lässt er sich von ihm gestalten? Darauf kommt es an.

Die sehr lange Weile die mancher Spieler braucht den stimmigen Augenblick zu erfassen um aufzustehen und nach vorne zu gehen, erzeugt enorme gebündelte Spannung und Lebensqualität. Im Spieler und bei den Zuschauern. Von ihnen werden später einige sagen: Was im Spielraum zugelassen wurde an guter Spannung und an Stimmigem ist für mich ein bleibendes Vorbild. /  Ich hätte nie gedacht, das Langsamkeit soviel bewirkt. / Das Langsamkeit in große Tiefen führt  /  Spielmeditation war das, ein Ritualspiel …

Ob sich meine Vision erfüllt, das Spieler und Zuschauer sich vereinen in gemeinsamer Meditation? Viel spricht ja schon jetzt dafür. Ergriffen schaue ich diesem Geschehen zu. Geheime Mysterienspiele sehe ich vor mir. Spieler wandeln sich zu Mysten.

Wo sonst, außerhalb von Rütte, wäre solches Forschen und Experimentieren möglich? Wo sonst könnte eine solche Atmosphäre entstehen? Ich kenne keinen anderen Ort.

Ist das noch Spiel?

Die meisten Spieler bleiben frei von persönlichem Machen. Es gilt in diesem Augenblick nur die eine Bewegung, die eine Gebärde, der eine Schritt, dieser eine Laut der sich aus der inneren Stille, vom Selbst her, in den leibkörperlichen Ausdruck gebiert.
Bewegt sich eine Hand? Schau ihr zu mit inneren Augen, lass die Bewegung langsam, langsam passieren. Ohne Nachdenken. Wo will die Hand hin? Verändere nichts, greife nicht ein und füge auch nichts hinzu. Fühle was deine Hand ausdrückt.
Ist das noch Spiel bei soviel Ernst, Wahrnehmung, Verzögerung und Ritualisierung?

Lass geschehen was geschehen möchte. Vielleicht erlebst du einen Impuls in deinem Fuß, in deinem Ellenbogen, im Zeigefinger … Lass ihn zu – so langsam wie möglich -. Hat dieser Impuls eine Richtung? Dann folge ihr langsam, sehr langsam. Was drückt diese Veränderung aus, wie fühlt sie sich an? Welche Beziehungen entsteht zwischen den Veränderungen deines LeibKörpers und deiner Mimik?
Fühle in voller Anwesenheit die Wirkung jeglicher Veränderung. Im Erspüren ergibt sich die neue Spur, folge ihr. Deine geschulte Präsenz hat bindende Kraft und Gültigkeit, und die sich aus ihr  ergebenden Gestaltungen erscheinen als würden sie mit Tusche in den Raum gezeichnet. Hieroglyphen sind sie, universale Gebärden, ausgeführt auf der Grenze zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten. So prägnant wie ein Holzschnitt, sagt später ein Zuschauer, was für eine Kunst!
Was für eine Kunst ist das?

… fühlen ist alles (J. W. v. Goethe).

Für Momente werden Spieler tatsächlich, ich kann es nicht anders sagen, zu Trägern des Transzendenten (V. Hösle). In diesen Momenten erleben Spieler und Zuschauer gemeinsam Schönheit, Kraft, Vertrauen, Mut, Geborgenheit, auch Liebe. Die Spieler erscheinen als Profis im Erleben ihrer Einheit, mit allem was Ist. In ihrem gezeigten Sein sind sie, für manchen Zuschauer, Vorbild.

Langsam zieht sich in den Spielern die Konzentration zurück. Sie folgen unabgesprochen der Choreographie eines geheimen Regisseurs, sitzen nun bei den Zuschauern. Überwunden ist die Grenze zwischen Spiel-Raum und Zuschauer-Raum. Letzte Töne, letzte Gebärden. Dann gemeinsame Stille.

Diese Stille stillt
Lange Zeit
Nachklingen

Radikale, erlösende Stimmigkeit

Mancher Zuschauer erlebt sich tief berührt, aufgewühlt, initiiert. Mancher ist gelangweilt.

Die Spieler lösen sich aus dem transzendenten Sein, werden wieder zu Personen. Die Schauspiel-Performance aus der Stille, die Entwichtigung des Privaten und Alltäglichen auf der Bühne, ist gelungen.

Was ihr gezeigt und wie ihr es zugelassen habt, das kann ich nicht beschreiben, sagt ein Priester, doch was es auch war, ihr habt es ganz tief in mir auch für mich getan. Den meisten Zuschauern gelingt es kaum zu formulieren was sie gesehen und erlebt haben. Sie haben sich als Zeugen erlebt eines echten Schöpfungsgeschehens / einer radikalen, erlösenden Stimmigkeit und Ehrlichkeit.
Euer Spielen war für mich Gottesdienst, ihr wart Priester-Spieler und ich Gemeindemitglied mit dem großen Unterschied, dass ich durch euch Tiefe erfahren habe, sagt eine Zuschauerin. Sie bittet um Aufnahme in unsere Gruppe. Auch ein Schauspielstudent will bei uns bleiben um diesen Ausdrucks-und Darstellungsstil zu lernen.

Vielleicht geben wir dem Spielraum zurück, was ihm oft genommen wird:
Mysterium.

Graf Dürckheim schenkt mir wenige Stunden nach unserem Spiel  eine alte Nô-Maske. Und Maria Hippius lädt uns ein zum Abendmahl in ihr Berghaus. Bei der Verabschiedung schenkt sie mir einen japanischen Holzschnitt mit dem Antzlitz eines Kabuki-Spielers.

Noch schöpfe ich aus altem Strome
und halte meine Quelle rein

Es hat weiter gespielt … … bisheute.

Im Übungsraum sitzt Wolfgang Keuter mit Teilnehmern im Kreis zur Meditation

Wie immer freue ich mich über Rückmeldungen.
Traut euch.

Wolfgang
Düsseldorf am 4. 09. 20018